Mittlerweile hat Sitting Bull es tatsächlich geschafft, mir meine Laune zu verderben. Wir sitzen im Foyer eines billigen heruntergekommenen Hotels und ich schlürfe meinen Tee. Sitting Bull schweigt, was mir ganz recht ist, denn ich muss mich sammeln.
»Sie haben kein Gepäck?«, fragt mich ein Angestellter.
Ich schüttele den Kopf. Sehe ich aus wie jemand, der mit Gepäck reist? Morgen werde ich mir neue Klamotten kaufen.
Es ist schon spät, es geht, glaube ich, gegen Mitternacht. Trotzdem habe ich keine Lust, auf mein Zimmer zu gehen. Und draußen in den engen Gassen der Stadt ist es mir zu warm. Im Foyer läuft die Klimaanlage auf Hochtouren; ob ich in meinem Zimmer eine habe, weiß ich nicht.
Ein älterer Mann kommt die Treppe herunter, er scheint betrunken, stützt sich am Geländer ab. Fast fürchte ich, er könnte stürzen. Als er an die Rezeption kommt, stellt sich ihm ein Hotelangestellter entgegen. »Was für ein verdammtes Problem haben Sie eigentlich?!«, schreit er.
Der Ältere weicht zwei schwankende Schritte zurück, hebt wie zur Abwehr die Arme nach oben. Er will etwas erwidern, verhaspelt sich, setzt wieder an. Dem Angestellten wird es zu viel: »Reden Sie schon! Was für ein verdammtes Problem haben Sie eigentlich?!«
Plötzlich holt der Betrunkene aus, will zuschlagen, wankt wieder zurück, wankt nach vorn, auf den Angestellten zu. Der stößt ihn vor die Brust, ein Wanken, Fallen, er schlägt mit dem Kopf auf den Fliesenboden – dann nur noch Blut.
Der Hotelangestellte bleibt einen Moment lang stehen – der Moment selbst bleibt stehen –, dann rennt er panisch los, rutscht in der Blutlache aus, will sich wieder aufrichten, rutscht erneut weg, bleibt am Boden liegen und rudert wie wild mit den Armen, schluchzt, keucht und schnappt nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Über und über ist er mit Blut besudelt. Ich gehe zu ihm, helfe ihm auf, er wehrt sich, meine Hände gleiten immer wieder an seinem Jackett ab, endlich schaffe ich es, ihn auf einen Sessel zu setzen. Er wimmert jetzt nur noch leise vor sich hin, ich wende mich dem Toten zu.
Dass er wirklich tot ist, stelle ich nüchtern fest.
Ich packe ihn an den Armen, ziehe ihn zu einer Tür, dann fällt mir auf, dass ich gar keinen Schlüssel dafür habe. Ich gehe zurück zum Angestellten, durchsuche sein Jackett, finde einen Schlüssel, der mir die Abstellkammer öffnet.
Den Toten lege ich hinein. Das Blut wische ich behelfsmäßig mit einem Lappen auf, angetrocknet ist es glücklicherweise noch nicht. Ist das Gehirn? Ich hole noch einen Lappen – endlich sieht es einigermaßen ordentlich aus. Nur den Geruch werde ich nicht beseitigen können.
»Warum tust du das alles?«, fragt Sitting Bull.
»Was sollte ich sonst tun?« Ich zeige auf den Angestellten, er wirkt fast, als würde er schlafen. »Soll ich ihn damit allein lassen?«
»Seit wann so menschenfreundlich?«
Noch nie was von Wandlung gehört? Das gibt es, glaub mir. Menschen können sich ändern.
»Du nicht«, meint Sitting Bull.
Wahrscheinlich nicht. Aber es tut gut, mir das zumindest für heute Nacht vorzumachen. Es gibt Dinge, die einem schwerer fallen.
Ich sehe nochmal nach dem Angestellten, vielleicht wird er in Ermangelung von Blut und Leiche erst mal alles für einen schlechten Traum halten. Bis dann irgendwann die Polizei vor der Tür steht.
Dann gehe ich auf mein Zimmer. Von draußen dringt der Lärm der Menschen in den Gassen und im Café auf der anderen Straßenseite. Sie klingen fröhlich, ihre Laune muss ansteckend wirken, auf normale Menschen zumindest. Aber sie stören mich nicht. Sie geben mir ein äußerst beruhigendes Gefühl von Normalität.
»Bist du dankbar für das, was heute Abend passiert ist?«, fragt Sitting Bull.
»Keine Ahnung. Möglicherweise. Ich wüsste aber nicht, wem ich dafür danken sollte.«